Befreite Zeit

Die Zeit ist eine ständige Begleiterin, die unser Leben prägt und unseren Alltag strukturiert. Unser Umgang mit ihr beschäftigt uns sowohl als Individuen als auch als Gesellschaft. Im 21. Jahrhundert scheint dieser jedoch zunehmend problematisch zu werden – Begriffe wie Beschleunigung, Entschleunigung, Resilienz, Informationsflut, Zeitsouveränität, Selbstdistanz und Achtsamkeit spiegeln diese Entwicklung wider. Während manche über Zeitmangel klagen, haben andere zu viel davon. Doch trotz der Belastung, die sie oft mit sich bringt, bleibt die Zeit selbst unschuldig – eine physikalische Größe, die die Abfolge von Ereignissen beschreibt und unaufhaltsam von der Vergangenheit in die Zukunft voranschreitet.

Zeit und Musik

Zeit und Musik sind eng verbunden, da Musik nur im Zeitverlauf wahrgenommen wird. Klang, Melodien, Harmonien und Dynamik entfalten sich in der fortschreitenden Zeit, wodurch Musik zu einer der flüchtigsten Kunstformen wird. Das Hören von Musik lässt uns Zeit allerdings nicht als knappes, flüchtiges Gut empfinden. Im Gegenteil: Musik kann die Gegenwart bewusster machen, sie kann sie zur langen Dauer dehnen oder auf den Moment konzentrieren. Ein Beispiel ist Schuberts Streichquintett, bei dem sich das wahre Tempo erst nach 30 Takten entfaltet. Der Komponist Dieter Schnebel nennt dieses Phänomen "befreite Zeit", bei dem Verlangsamung und Beschleunigung in die Musik integriert sind. Statt Produktivität oder Eile geht es um das wahre Empfinden und den Einklang zwischen Mensch und Welt, wodurch Musik neue Perspektiven auf die Wahrnehmung der Welt eröffnet.

Unsere Aufgabe als Festival

Seit 28 Jahren schafft das Heidelberger Frühling Musikfestival einen Ort des Innehaltens. Die Festivaledition 2025 stellt dabei ganz besonders unter Beweis, was ein Festival in all seiner Unverwechselbarkeit zu leisten imstande ist: Das rauschhafte Eintauchen in drei Wochen Auszeit vom Alltag. Sei es bei einem der Ausnahmeprojekte der Klassikwelt, wenn wir gemeinsam mit Budapest und Wien Schauplatz für die Aufführung aller Klavierkonzerte von Sergej Prokofjew an drei Abenden durch eines der großen Orchester der Welt, dem Budapest Festival Orchestra unter Iván Fischer zusammen mit Igor Levit werden. Sei es, wenn Sie die einmalige Chance haben, an einem Tag alle Streichquintette von Wolfgang Amadeus Mozart zu hören. Wenn Sie einen ganzen Abend in die Faszination der „Minimal Music“ im Karlstorbahnhof eintauchen können. Oder wenn Sie sich auf die Idee unserer 17 Uhr-Konzerte in der Aula der Alten Universität Heidelberg einlassen, die zur Entschleunigung beitragen und als Brücke zwischen Tageshast und Abendgestaltung dienen. Sei es bei den re:start-Konzerten bei freiem Eintritt in den Stadtteilen Heidelbergs, die zum Teil von den jungen Nachwuchskünstler*innen des Festivalcampus-Ensembles gestaltet werden.

Kurz: Machen Sie die Festivalwochen zu Ihrer Zeit!

Ihr
Thorsten Schmidt

(gekürzter Auszug aus dem Editorial)

Programm & Tickets